„Der Lockdown ist vorerst aufgehoben,
aber Corona ist noch lange nicht vorbei“
Wie erlebten Krankenhausmitarbeiter aus den verschiedenen Ländern ihr Arbeitsumfeld in dieser Corona-Zeit?
Was hat sich inzwischen verändert, oder ist alles wieder beim Alten?
Mirjam, eine Schweizer Pflegefachkraft, nimmt sich gern ein wenig Zeit, beantwortet mir bereitwillig einige Fragen und bietet so einen kleinen Einblick in den Krankenhausalltag, während und nach dem Lockdown, aus ihrer Perspektive.
„Ich persönlich empfinde die Arbeit in der Klinik jetzt wieder interessanter, als während des Lockdowns. Es ist ja schließlich fast alles wie beim Alten, oder nicht?“
Ich frage zuerst, wie gut oder weniger gut die Maßnahmen gegen Corona im Krankenhaus organisiert waren und was sich eventuell verändert hat.
„März 2020: Der erste Verdachtsfall, ab ins Überdruckzimmer. Man wusste nicht, ob es sich um eine Aerosolübertragung handelte oder nicht. Vermummt, mit der FFP-Maske, Schürze, Brille, und gaaaanz viel Desinfektionsmittel wurde der erste Abstrich gemacht, der Raum danach für 60 min gelüftet und nach strenger Maßnahme desinfiziert. Der Test wurde, 3x verpackt, nur mit Labortransportdienst ins Labor geschickt. Schon nach 60 Minuten bekamen wir den nächsten Patienten. Also musste das Konzept geändert werden; mit dem Vorzelt, dem neuen Kinder-Covidtrackt….
Dann… Der Lockdown steht. Die Kindernotfallstation muss handeln, und zwar schnell. Innerhalb von 48h wurde die komplette Notaufnahme mit 12 Kojen und 6 Beobachtungsbetten umgemodelt. Aus eins, mach zwei. Der „alte Stützpunkt“ wurde zum schmutzigen/Infekt-Stützpunkt für Pflegepersonal und Arzt. Das große Beobachtungszimmer zum „Sauberen“. Zimmermänner haben den Raum in rasender Geschwindigkeit komplett umgebaut, Monitorüberwachungen und Dashboard mit der Patientenauflistung wurden neu installiert. Wahnsinn!
Dann wurden die Kojen der hinteren Hälfte zu „sauberen“ erklärt und die Vorderen zu „schmutzigen“, in der Mitte wurden zwei Beo-Einzelzimmer für spezielle Fälle reserviert, chronisch kranke Kinder oder aufwändigere Unfälle. Aus dem Schockraum wurde ein „sauberer“ und aus einem Gips-/kleiner Eingriffsraum der „schmutzige“ Schockraum. Auch hier wurden die Umbaumaßnahmen innerhalb eines Tages umgesetzt. Inklusiv kompletter doppelter Ausrüstung von Materialien und Geräten, wie Defibrillator, etc.
Inzwischen wurde vor der Notaufnahme und dem Haupteingang ein Sicherheitsmitarbeiter postiert, welcher die Personen ansprach, sich über die jeweiligen Beschwerden und Symptome informierte und in entsprechende Räume leitete.
Unser Team wurde in zwei Bereiche aufgeteilt und streng auf die Einhaltung aller Schutzmaßnahmen geachtet. Jeder Mitarbeiter bewegte sich ausschließlich in seinem Bereich. Der Abstand wurde strikt eingehalten und streng bewacht. Fast wie im Militär fühlte ich mich bei der Morgenvisite.
Im Stundentakt, so hatte man das Gefühl, kamen Emails mit neuen Informationen. Der eigene Laptop musste min. 2x pro Schicht desinfiziert werden. Ich hatte eigentlich zu keiner Zeit Angst vor dem Coronavirus.
Innerhalb einer Woche: Nicht Aerosol! Also durfte der Test durch die Rohrpost verschickt werden. Es musste nicht mehr speziell gelüftet werden“.
Ich habe gehört, dass es auf einigen Stationen an Patienten fehlte, weil leichtere Behandlungen verschoben wurden. Wurdest du dadurch in anderen Bereichen eingesetzt?
„Nein, ich durfte immer auf der Kindernotfallstation bleiben. In erster Linie habe ich mir auch keine Sorgen um meine Anstellung gemacht. Sehr schnell wurde aber klar, die Menschen halten sich an die Weisungen des Bundesrates und es kamen keine erkrankten Kinder mehr. Vergleichszahlen: Im Januar brachen wir den Rekord mit 165 Notallkinder in 24h und im Lockdown waren es kaum mehr als 15% davon in 24h. Natürlich wünschen wir uns, dass alle Kinder bei bester Gesundheit sind.
Trotzdem wurde ich allmählich etwas nervös. Ich arbeite in temporärer Anstellung und hatte Bedenken in Bezug auf eventuelle Arbeitslosigkeit. Nach einigen Gesprächen und Allgemeindiskussionen über die Minuszeiten der Mitarbeitenden, wurde beschlossen, dass wir versetzt werden, falls uns in der Universitätsklinik jemand brauchen würde. Etwas beruhigter war ich auf jeden Fall, dennoch mit dieser Ungewissheit im Hintergrund.
Und gleichzeitig die Gedankenkreise: Wann bricht die Covidwelle über uns ein?
Als die offiziellen Schulferien Anfang April einsetzten, das Homeschooling eine Pause hatte und die Kinder vermehrt draußen waren, hatten wir wieder mehr zu tun. Vor allem chirurgisch“.
Es gibt viele Meinungen über die Strategie der Regierung. Wie schätzt du, aus der Sichtweise der medizinischen Welt, die Politik der Regierung ein?
„Ich möchte hier an erster Stelle sagen, dass ich keinesfalls eine solche Entscheidung hätte treffen können oder vor allem wollen!
Der Bund hat gehandelt und das war gut so. Geredet wurde jedoch genauso viel. Aus pflegerischer Sicht kann ich mit einer leichten Enttäuschung sagen, man hätte früher reagieren sollen und können.
Am Beispiel China konnte man bereits sehr früh erkennen, welche Auswirkungen Covid 19 verursacht. Selbst Wochen bevor Italien schwer betroffen war, wurde sehr lange darüber diskutiert. Meiner Meinung nach hätten die Kliniken schon zu diesem Zeitpunkt erste Schritte unternehmen müssen. Ich habe mir mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung von Seiten der Klinikleitung gewünscht“.
Zuletzt bitte ich Mirjam um einige abschließende Worte zu der heutigen Situation in ihrer Klinik, und unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg zu geben.
„Nun ist es mittlerweile Juli 2020. Zurückblickend wird einem jetzt erst richtig bewusst: Ich war an der Front von Covid19, dennoch habe ich gar nicht so viel davon mitbekommen. Auch Kolleginnen, welche bei den erwachsenen Patienten in der Pflege arbeiteten, hatten zum Glück nur wenig mit Corona Patienten zu tun. Aufgrund des Lockdowns, auf jeden Fall!
Tagtäglich ist es immer noch vorhanden, dieses Covid, und beschäftigt die Bevölkerung. Und in der Pflege? Naja, kaum war der Lockdown durch, gestaltete sich die Notfallaufnahme wieder wie zuvor. Nur die Aufteilung der Kojen wurden beibehalten. Wir sind der Auffassung, dies wäre schon vor der Corona Pandemie nötig gewesen.
Was wir heute für Maßnahmen haben gegen Covid? Inzwischen wurden die Schutzmaßnahmen gelockert. Schurz, Brille und Maske bei sehr nahem Kontakt. Ansonsten gilt nur noch die Maskenpflicht für alle. Abstand halten kein Thema mehr in der Berufswelt der Pflege.
Die Kojen werden wieder wie vorher üblich gereinigt, das Zelt steht schon lange nicht mehr. Wie sinnvoll das ist, kann ich nur bedingt einschätzen: Wir hatten seit der Lockdown-Aufhebung kein mit Covid 19 infiziertes Kind mehr. Die Zahlen insgesamt haben unsere Befürchtungen zum Glück nicht bestätigt.
Die zweite Welle kommt, aber ich denke, dass wir diese lockerer angehen werden, aus pflegerischer Sicht. Ich persönlich wünsche mir, dass sich alle Menschen etwas strenger an die Regeln halten, aber nicht nur wegen dem Coronavirus, sondern um allgemein die Verbreitung von Infektionserkrankungen zu minimieren“.
Wir danken Mirjam für dieses Interview und Ihrer Bereitschaft, von der angespannten Situation während des Lockdown und danach zu berichten.
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